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INFINITE STORYSCAPES

Vesna Hodnik Nikolic

Frau Hodnik Nikolic hat 2021 mit der Leitung des Slowenischen Wirtschaftsverbandes in Klagenfurt die Verantwortung in der Gestaltung der Slowenisch-Österreichischen Handelsbeziehungen übernommen. Die souveräne Managerin hat, auf der Suche nach neuen Horizonten beschlossen, Erfahrungen außerhalb Sloweniens sammeln zu wollen – dass Kärnten zu ihrem langfristigen Lebensmittelpunkt werden würde, hat sie sich bei ihrer Ankunft noch nicht gedacht.

Im Gespräch, das sie im November 2021 mit Katarina Wakounig-Pajnič geführt hat, erfahren wir: Welches Potential sieht Frau Hodnik Nikolic in der Alpen-Adria Region? Womit hat sie in Kärnten nicht gerechnet? Was vermisst sie derzeit in Klagenfurt? Wovon ist sie fasziniert?

200 Jahre zurück sind die Vorfahren von Vesna Hodnik Nikolic von St. Jakob im Rosental ins südlich der Karawanken gelegene Bohinj gezogen. Durch ihren Umzug ins heute österreichische Kärnten hat sich dieser familiäre Kreis geschlossen und stärkt so das Gefühl, hier zu Hause zu sein.

Katarina Wakounig-Pajnič im Gespräch mit Vesna Hodnik Nikolic


[1] In diesem Gespräch unterhalten sich zwei Einwanderinnen, die von Slowenien ins österreichische Kärnten kamen. Zwei Sloweninnen mit unterschiedlichen Schicksalen, mit unterschiedlichen Zielen, mit unterschiedlichen Familienverhältnissen. Anders und gleichzeitig ähnlich. Lassen Sie mich hinzufügen, dass Vesna und ich uns schon sehr lange kennen, und deshalb werden wir uns duzen.

Mein Name ist Vesna Hodnik Nikolic. Ich sage gerne, dass ich erst eine Bohinka (Wocheinerin) bin und dann erst eine Slowenin. Bohinj ist meine Heimat, wo ich herkomme, und wahrscheinlich kommen alle meine Eigenschaften, die ich in meinem Leben irgendwie entwickelt habe, von dort. Ich lebe seit acht Jahren mit meiner Familie in Klagenfurt. Ich habe eine Tochter, Ella, und einen Sohn, Till. Mein Mann und ich sind 2013, wahrscheinlich aus Neugier, nach Kärnten gezogen. Die ursprünglich als kurzfristig gesehene Chance hat sich in eine langfristige umgewandelt.

[2] Wie waren deine Deutschkenntnisse zum Zeitpunkt der Einwanderung und wie hängen diese mit deinem Leben in Kärnten zusammen?

Das war ziemlich interessant. Wir dachten, für zwei Jahre nach Kärnten zu ziehen. Damals war es so geplant, weil meinem Mann eine Arbeit an einem auf zwei Jahre begrenzten Projekt angeboten wurde. Das war unser Zeitrahmen, und an Deutsch dachten wir noch gar nicht, dass wir es wirklich brauchen.

Ich war damals gerade schwanger, und ich wusste, dass ich meine Zeit in Kärnten nutzen würde, um durch Klagenfurt zu flanieren, mich zu amüsieren, Leute zu treffen – wie immer Englisch zu sprechen. An dem Punkt wurde es natürlich kompliziert, denn hier sprechen fast alle Deutsch, bis auf den slowenischen Teil, der später zu meinem Leben kam, und wir brauchten sehr, sehr viel Deutsch. Mein Mann konnte fast kein Deutsch, ich hatte einige Grundkenntnisse aus meiner Schulzeit, die damals 15 Jahre zurück lag. Als ich mit Wehen ins Krankenhaus kam – das ist eine Anekdote, die ich sehr gerne erzähle –, hatten wir ein paar Sätze auf einen Zettel geschrieben, im Sinne von: „Meine Frau hat Schmerzen, bitte helft uns.« und »Wir werden ein Kind bekommen, bitte gib ihr etwas gegen die Schmerzen.«

Es war eine ziemlich interessante Erfahrung, mit schlechten Deutschkenntnissen zu kommen, aber dann fanden wir uns beide schnell zurecht. Wir haben uns in einen Deutschkurs eingeschrieben, angefangen deutschsprachige Programme zu schauen, und in Folge haben das Leben und auch die Sprache einfach angefangen zu fließen.

[3] Grenzüberschreitende Verbindungen sind dir sehr wichtig. Warum und woher kommt dieser Wunsch?

Ich denke, das liegt in meiner Natur, und vor allem sehe ich hier sehr viele Möglichkeiten, mich in dieser Region zu vernetzen.

Folgendes ist mir wichtig zu erzählen: Mein Mann und ich überlegten damals, ob wir für eine Weile nach Amerika oder nach Dänemark gehen. Wir wollten beide Auslandserfahrungen machen, und als wir die Möglichkeit bekamen nach Österreich zu kommen, sagten wir: »Wow, Österreich, das ist ja ganz nah von hier …« Tatsächlich ist es so, dass wir einander so nahe sind und gleichzeitig so fern, weil in den Grundschulen nicht über das Grenzüberschreitende* unterrichtet wird, wir wissen nicht, was auf der anderen Seite der Grenze* passiert. Wir wissen nicht, dass es hier junge Leute gibt, die gerne Slowenisch sprechen, und was für ein großes Plus das für sie ist, mit mir auf Slowenisch sprechen zu können. Und es scheint mir, dass wir hier noch viel mehr tun müssen. Es gibt noch viel Raum und den möchte ich mit ganzem Herzen nutzen und hoffe, dazu beitragen zu können.

[4] Für dich war dieses Jahr, 2021, ein Wendepunkt. Am 1. Juni dieses Jahres hast du die Geschäftsführung des Slowenischen Wirtschaftsverbandes in Klagenfurt (Slovenska gospodarska zveza – SGZ) übernommen, wo du bisher als Projektleiterin tätig warst. Du hast 18 Jahre Erfahrung in Marketing und Vertrieb im internationalen Umfeld. Wo siehst du deine konkrete Mission in unserem Alpen-Adria-Gemeinschaftsraum?

Mit großer Freude habe ich die Leitung des Slowenischen Wirtschaftsverbandes übernommen, und ich denke, die Stelle ist wie für mich gemacht. Ich kann hier all das Wissen, das ich in der Vergangenheit erworben habe, die Erfahrungen, die ich gesammelt habe, nutzen. Für mich ist das toll, weil wir über die Wirtschaft sprechen. Die Wirtschaft als solche liegt mir sehr nahe, und ich sage immer, dass Marketing eine Philosophie der Wirtschaft bzw. dass Marketing ein weites Konzept ist. Bereits in Slowenien habe ich erst einen Wirtschaftsclub, dann eine Personalabteilung geleitet, und ich war Marketingdirektorin in einem internationalen Unternehmen. Dann haben die Dinge ineinander gegriffen, und ich muss sagen, dass ich wirklich motiviert bin, in diesem Alpen-Adria-Raum zu arbeiten, um geleitet von einer Vision voranzukommen. Das ist wirklich toll für mich und ich genieße diese Position.

Ich bin die erste Slowenin (aus Slowenien, Anm. d. Redaktion) die die Leitung des Slowenischen Wirtschaftsverbandes inne hat. Der Slowenische Wirtschaftsverband ist ein Dachverbandes, der die kärntner-slowenischen Unternehmen stärkt, um sich regional öffnen zu können. Es scheint mir, dass unsere Organisation die Region wirklich verbindet, dass wir die Wettbewerbsfähigkeit der Region in Bezug auf die Wirtschaft erhöhen können, dass wir Unternehmen helfen können, besser und effizienter zu sein, nach neuen Geschäftspartnern und neuen Geschäftsmodellen zu suchen. Hier reden wir über Kreislaufwirtschaft usw., nämlich dass die praktischen Erfahrungen ausgetauscht werden können und dass wir uns gegenseitig helfen. Hier sehe ich eine Reihe von unterschiedlichen Situationen, die mich dazu gebracht haben, jetzt eine Organisation wie den Slowenischen Wirtschaftsverband zu führen.

[5] Wenn dein Name im Zusammenhang mit dem Slowenischen Wirtschaftsverband in der Öffentlichkeit auftaucht, dann sprichst du in erster Linie als fachkundige Mitarbeiterin des Projekts »Interreg Slowenien-Austria Connect KMU Plus«. Bitte stelle uns das Projekt und seine Ziele vor.

Das war ein Interreg-Projekt, an dem zwei Länder, Slowenien und Österreich, beteiligt waren. Dieses Projekt basierte auf der vergangenen Förderperiode und zielte auf die Internationalisierung von kleinen und mittelständischen Unternehmen ab. Internationalisierung in dem Sinne, dass sich einerseits slowenische Unternehmen internationalisieren beziehungsweise auf den österreichischen Markt gehen und andererseits österreichische Unternehmen einen potentiellen Markt für Investitionen in Slowenien erkennen und in Slowenien investieren.

Wir müssen beachten, dass der Handel zwischen Slowenien und Österreich riesig ist, dass schon der Handel zwischen Slowenien und Kärnten bereits groß ist und über die Jahre immer gewachsen ist. Aufgrund von COVID-19 ist dies leicht zurückgegangen, aber im Durchschnitt ist es immer noch ein positiver Trend. Ich konnte bei diesem Projekt sehr viel Kreativität einbringen, denn neben der konkreten Internationalisierung haben wir eine Ausbildung für Unternehmen vorbereitet, ein modulares System, in dem Unternehmen dazu ausgebildet wurden, wie man sich internationalisiert, wie man Marketing macht, was digitales Marketing bedeutet, was es bedeutet, mit verschiedenen Kulturen und Sprachen zu arbeiten, wie man Marktforschung betreibt, nach welchen wichtigen Koeffizienten wir suchen, wie man Partnerschaften eingeht etc. Darüber hinaus haben wir viel mit bestimmten Unternehmen zusammengearbeitet und hatten einige Geschäftskonferenzen sowie Besuche bei international erfolgreichen slowenischen Unternehmen, eine Tour durch österreichische Unternehmen, die im slowenischen Umfeld tätig sind.

Dieses Projekt war nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtet, aber in Zukunft werden Projekte mehr in die Richtung gehen, Kreislaufwirtschaft zu fördern und Unternehmen zu ermutigen, über nachhaltige Entwicklung nachzudenken.

[6] Neben grenzüberschreitenden Kooperationsprogrammen, neben zahlreichen aktiven Vorbereitungen auf die kommende EU-Finanzperspektive zählst du die Arbeit mit jungen Menschen in Zukunft zu deinen Prioritäten. Unter anderem bist du als fachkundige Mitarbeiterin am engsten mit der Umsetzung des inhaltlichen Konzepts des »Alpen-Adria Netzwerk / Mreža Alpe Jadran – MAJ« verbunden. Wofür steht das »Alpen-Adria Netzwerk« und warum fasziniert dich die Arbeit mit jungen Menschen?

Die Idee dieses Projekts ist, dass sich junge Leute aus der Region im zamejstvo* treffen, im zamejstvo*, das sie nicht so gut kennen wie das Kanaltal oder Monošter oder dem Gorski Kotar (Anm. d. Redaktion: Gorski Kotar: dt.: das Bergland, eine Landschaft im Nordwesten Kroatiens). Triest, Klagenfurt und Rijeka kennen wir alle, aber diese kleineren Orte kennen wir nicht. Die Idee ist, junge Menschen aus allen Regionen zusammenzubringen und ihnen Gorski Kotar vorzustellen und ihnen die Menschen dort, ihre Geschichte sowie weitere wirtschaftliche Themen vorzustellen. Wir wollen vor allem, dass sich junge Leute in der Region vernetzen und sehen, dass es Möglichkeiten für Bildung, Arbeit, Beschäftigung gibt. Es ist wunderbar, an Paris, London und New York zu denken, aber Triest, Ljubljana oder Klagenfurt können auch tolle Erlebnisse sein, und es gibt dort viele interessante Unternehmen, die jungen Menschen ein sehr großes Potenzial bieten können.

Was ist noch ein Vorteil? Die jungen Leute aus der Region sind mehrsprachig. Dies ist eine Qualität, die wir uns nicht vorstellen können. Meistens ist es so, dass die Jungen mindestens drei Sprachen sprechen und das fließend. Das macht diese Region so besonders, und es ist daher schön mit diesen jungen Leuten zu arbeiten, weil sie offen sind, weil sie sich verbinden wollen. Daher ist MAJ eine wirklich große Inspiration für mich.
Wir waren vor kurzem in Rijeka beim Verband der Slowenischen Gesellschaften in Kroatien, um mehr über die Stadt zu erfahren und wie der Verband funktioniert. Gleichzeitig haben wir über Wasserstoff gesprochen. Die Jungen hörten von Wasserstoff als neuer Energiequelle und es war so spannend für sie, dass der Dozent keine Zeit hatte, Kaffee zu trinken oder zu Mittag zu essen, weil ihnen ständig neuen Idee gekommen waren. Er hat sie zu Start-up-Ideen inspiriert und auch wir, die wir nicht der Generation Z angehören, können lernen, wenn wir diese Begeisterung in jungen Augen sehen, wenn sie auf ein neues Thema treffen, das ihnen zusätzliche Impulse für die Zukunft gibt.

Das »Alpen-Adria Netzwerk – MAJ« ist für mich eine Herzensangelegenheit und ich möchte das auch weiter betreuen. Durch COVID-19 war es natürlich eine Herausforderung zusammenzuarbeiten, da wir uns nicht persönlich treffen konnten. Daher haben wir hervorragende Online-Seminare durchgeführt, die auch von unseren Slowenen in Argentinien, Cleveland, Österreich und anderen Ländern besucht wurden. Auf diese Art war es auch interessant, aber anders.

[7] Wie schätzt du die Bildungschancen junger Menschen heute ein? Was ist deiner Meinung nach in diesem Bereich gut geregelt und wo gibt es deiner Meinung nach Defizite? Was würdest du fördern und warum?

Ich beginne mit dem, was mich am meisten stört: Wir hatten jetzt einige Situationen, in denen etliche Kärntner Sloweninnen und Kärntner Slowenen in Ljubljana studieren wollten. Dort sind jedoch die Dinge noch nicht so geregelt, dass man die Immatrikulation mit slowenischen Studierenden gleichsetzen könnte. An der Stelle, so scheint es mir, gibt es noch viel Spielraum zu nutzen. Mir scheint, dass Slowenien hier offener sein könnte, hilfreicher für junge Leute, damit sie in Verbindung mit der slowenischen Sprache sein können, weil die Jungen die Verbindung wollen und suchen. Ich sehe hier noch eine große Lücke, die bürokratisch gelöst werden muss. Vielleicht ist es nicht einmal ein Motivationsproblem, sondern die Bürokratie.

Zweitens bin ich überrascht – das habe ich erst jetzt im Slowenischen Wirtschaftsverband erfahren –, dass es an Kärntner Schulen in Österreich mehr als 200 aus Slowenien stammende Jugendliche gibt. An der Handelsakademie in Klagenfurt, am Slowenischen Gymnasium und in St. Jakob. Viele junge Menschen kommen bereits für ihre Ausbildung nach Österreich und werden hier bilingual unterrichtet. Ich denke daran, was für ein Mehrwert das auch für Slowenien ist, dass junge Menschen hierher kommen können, wo es anders ist als in Slowenien, dass sie Kontakt mit der Sprache haben, dass sie sich hier mit jungen Menschen in der Region verbinden, in Klagenfurt und Umgebung, das ist wirklich gut. Vor den Schulen, mit denen ich viel zusammenarbeite, vor allem durch das MAJ-Projekt, und auch vor den Schulen aus Triest und Gorizia, die zweisprachig sind: Hut ab! – Respekt vor ihrem Programm, ihrer Motivation, vor der Begeisterung der Menschen, die mit den Jugendlichen arbeiten. Es ist wirklich spannend.

[8] Zusammenarbeit in der gemeinsamen Region ist nachhaltig. Wie siehst du die Aktivitäten auf regionaler Ebene, die dich tagtäglich bei deiner Arbeit umgeben, in Bezug auf die Globalisierung, die sehr präsent ist?

Vielleicht habe ich hier ein bisschen Glück in einem Büro zu arbeiten, das sehr regional wirkt. Mein Mann arbeitet in einem auf dem globalen Markt wirkendem Unternehmen. So sehe ich wirklich beide Welten. COVID-19 hat gezeigt, wie die Regionalisierung immer wichtiger wird, wenn wir auch ständig von globalen Dörfern sprechen. All dieses Aufblähen, noch mehr Kapital, noch mehr Konsum, noch mehr Ausgaben … COVID-19 hat uns und vielen Unternehmen gezeigt, dass sie sich wieder regional vernetzen müssen. Für uns, die SGZ, ist das natürlich ein Plus. Es ist jetzt viel schwieriger, einen Lieferanten aus China zu bekommen, und es kann auch teurer sein, als jemanden hier in der Region zu haben. Mir scheint, dass sich diese globalen Verbindungen verändern werden. Natürlich ist das Setting global geworden, wir sind vernetzt, Informationen kursieren, aber ich denke, der Faktor der Regionalisierung wird wieder sehr stark. Das ist meine persönliche Meinung – wir sehen, zumindest ist es bei dem Unternehmen, in dem mein Mann arbeitet, so, dass auch die Produktion zurück nach Europa verlegt wurde. Ein wunderbares Beispiel ist die Lebensmittelversorgung – ich hoffe, keiner von uns kauft mehr chinesischen Knoblauch. Das möchte ich wirklich nicht, weil es für mich das Schlimmste ist, Knoblauch aus China zu kaufen. Knoblauch aus China ist für mich ein Symbol dafür, dass wir auf regionale Lebensmittel achten müssen, die wir in unserer Nähe haben. Denn diese Nähe mit kurzen Lieferketten ist sehr wichtig. Das Projekt, das wir im Bereich der neuen europäischen Förderperspektive durchführen werden, wird sich auch auf die Suche nach kurzen grenzüberschreitenden Lieferketten begeben.

[8] Mit deinem fortschrittlichen Denken löst du Veränderungsprozesse aus: Warum ist Veränderung deiner Meinung nach so wichtig für unsere Zukunft und in welchen Bereichen ist sie besonders ausgeprägt?

Veränderung ist eine Konstante, das ist uns jetzt klar. Es ist nicht immer notwendig, etwas zu ändern, etwas besser zu machen. Manchmal ist es möglich, einen Schritt zurückzutreten und zu sich selbst zu sagen: »Back to basics.« Das habe ich jetzt über die Jahre erkannt. Das Leben selbst und die Wirtschaft sind lebende Organismen, die angepasst werden müssen. Und wie der Anthropologe Yuval Harari sagt, der menschliche Körper musste sich an all die neuen Lebensweisen anpassen – und er spricht davon, dass das Sitzen in Zukunft unser größter Feind werden wird. Er fordert auf, sich dem Bewegungsmangel mal bewusst zu werden, mit der Aussage: „Zählen Sie, auf wie vielen verschiedenen Stühlen Sie heute gesessen sind!“ Es scheint mir also, dass wir mit dem Wandel Schritt halten müssen, manchmal müssen wir die Schöpfer des Wandels sein, aber nicht jeder Wandel ist unbedingt der beste Wandel.

[9] Wie findest du dich in der männlich geprägten Welt zurecht?

Das ist immer eine Herausforderung. Allerdings haben wir Frauen gewisse Qualitäten, die Männer vielleicht nicht haben. Ich denke da an Verbundenheit und Einfühlungsvermögen, das können wir zu unserem Vorteil nutzen. Ich denke, dass die männliche Gesellschaft und die so genannte männliche Welt existieren, aber wenn du ein guter Gesprächspartner bist, konkret und professionell, dann sehe ich hier nicht einmal einen Unterschied oder Hindernisse. Natürlich ändern sich die Prioritäten, wenn eine Frau Mutter ist. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir einige Arbeitsaufgaben, wenn wir Mütter sind, schneller und effizienter erledigen. Wir wissen, wie man Zeit einplant, weil wir Frauen Zeit einplanen müssen, um ein gutes Mittagessen zu kochen, Zeit zum Spielen zu haben usw. Mir scheint, wir wissen, wie wir effektiver sein können. Denn ich sage immer, dass es auch bei der Arbeit auf die Strategie ankommt, nicht nur darauf, visionär und kreativ zu sein und Ideen aneinanderzureihen, sondern auch operativ zu sein, damit man weiß, wie man Dinge ausführt. Ich sehe oft ein Defizit, nicht nur bei Frauen und nicht nur bei Männern, sondern generell, dass wir manchmal voller Ideen sind und uns dann bei der Durchführung die Luft ausgeht.

[10] Hast du in deiner ursprünglichen, primären Familie, auch mit deinen Eltern zu Hause über wirtschaftliche Themen gesprochen? Waren deine Eltern bzw. sind sie noch berufstätig?

Nein, meine Eltern sind beide im Ruhestand, aber wir vermieten Ferienwohnungen seit dem Jahr 1946. Wir haben zu Hause immer über die Wirtschaft gesprochen und noch mehr über die Politik. Mein Vater und ich unterhalten uns gerne über Politik und diskutieren alle möglichen politischen Situationen. Ich glaube, dass mein Vater einer der wenigen ist, der den ganzen Tag eine Staatssitzung in Slowenien verfolgen kann. Also wir haben immer viel geredet. Meine Eltern sind beide sehr offen, beide sehr aufmerksam, und ich denke, das verbindet uns auch heute noch, und das möchte ich meinen Kindern zurückgeben, das in einer solidarischen und mitfühlenden Umgebung zu leben.

Meine Vorfahren wanderten vor ca. 200 Jahren aus Kärnten nach Bohinj (Wochein) aus. So wird unser Haus in 4 Jahren 200 Jahre alt. Die Familie kam von St. Jakob im Rosental, also habe ich offensichtlich schon einige Verbindungen nach Kärnten. Ich könnte sagen, dass ich nach 200 Jahren wieder nach Kärnten zurückgekehrt bin. Ich habe eine Zeit lang auch im Rosental gelebt und es hat mir sehr, sehr gut gefallen. Das Rosental liegt mir so am Herzen. Ich muss mir die Kirche einmal anschauen, wenn ich Aufzeichnungen darüber finde, wer meine Vorfahren waren, woher sie kamen und ob wir noch Verwandte hier haben. Interessant, wie der Kreis des Lebens sich schließt.

[11] Du hast auf den Mangel an Informationen im slowenischen Schulsystem über das Leben der slowenischen Volksgruppe hingewiesen, nicht nur hier im österreichischen Kärnten – da stimme ich dir voll und ganz zu – und gleichzeitig gibt es Generationen, unsere Vorfahren, die damals keine Einschränkungen kannten, weder sprachlich noch politisch noch historisch.

Was für eine Welt hinterlässt du deinen Kindern auf der anderen Seite, was für ein Vorbild möchtest du ihnen sein? Wovon sollen sie weniger als du selbst erlebt hast erfahren, und wovon mehr?

Es scheint mir, dass wir ihnen viel geben, weil sie zweisprachig aufwachsen und dies eine wirklich gute Basis für die Zukunft ist. Und was ich ihnen ständig ans Herz lege: den Kontakt mit der Natur. Für mich ist es sehr wichtig, dass man die Natur spürt – dass zum Beispiel kein Müll in die Natur geworfen wird. Wir haben ein striktes Verbot, überall Müll hinzuwerfen. Für die Natur muss gesorgt werden. Wenn wir spazieren gehen und Plastikmüll auf dem Boden liegt, geben wir ihn in unsere Tasche und nehmen ihn mit nach Hause, weil wir die Natur schützen und auf die Umwelt, in der wir leben, achten müssen. Ebenso wie es die Regel gibt, dass Plastikspielzeug nicht in die Natur mitgenommen wird. Das sind die Dinge, die ich ihnen jetzt, wo sie klein sind, geben möchte. Und die Liebe zu den Bergen. So erobern wir langsam die Gipfel, wir erobern langsam Kärnten, auch dank dir, Katarina, weil du uns so schön zu all den Kärntner Gegenden, Bergen und Aussichten führst. So sind wir schon etlichen deiner Vorschläge nachgegangen.* Das möchte ich ihnen gerne mitgeben, dass sie wissen, wie man sich in der Gegend, in der Natur bewegt, und dass sie mitfühlend, neugierig und fleißig sind. Mein Mann und ich sind beide berufstätig und wir möchten unseren Kindern ein gutes Beispiel sein, dass nicht alles selbstverständlich ist.

* Katarina Wakounig-Pajnič betreibt das Web-Portal »Avstriska Koroška«, in dem sie für Touristinnen und Touristen aus Slowenien Kärntner Ausflugsziele und Sehenswürdigkeiten bewirbt.

Bleiben wir im österreichischen Kärnten – wie hast du die Minderheitenthemen in Kärnten wahrgenommen? Was fasziniert dich von allen Aspekten des zwei- und mehrsprachigen Lebens hier am meisten?

Die Jugendlichen. Mit Minderheitenthemen habe ich mich nicht wirklich direkt beschäftigt und darin bin ich nicht direkt involviert. Meine Hauptaufgabe bei der SGZ ist die Wirtschaft, und die Themen der Minderheiten spüre ich vielleicht am meisten, wenn ich mit jungen Leuten arbeite. Ihre Liebe zur Sprache, dieser Wunsch, sich zu verbinden, der Wunsch, sich durch slowenische und grenzüberschreitende Zusammenarbeit auszudrücken.

Es ist faszinierend: Wenn ich versuche, Deutsch zu sprechen, um es besser zu lernen, wollen alle Kärntner Slowenen mit mir Slowenisch sprechen, und man spürt es wirklich, wie glücklich die Menschen sind, weil sie Slowenisch sprechen können. Es ist diese Faszination, die ich immer wieder spüre, diese Liebe zur slowenischen Sprache, die in Slowenien selbstverständlich ist. In Slowenien denkt niemand, dass Slowenisch etwas Besonderes ist, dass es »meine« Sprache ist. Jetzt verallgemeinere ich viel. Hier ist diese Liebe der Bewahrer der slowenischen Sprache, der Zweisprachigkeit – wirklich faszinierend, das gefällt mir sehr. Einen Kärntner Ausdruck habe ich schon gelernt: »maruati« (Anm. d. Redaktion: »maruati«: umgangssprachlich für »reden«). Es ist alles so interessant für mich, auch die Dialekte.

Mich fasziniert noch etwas anderes, auf das ich wirklich hinweisen will: das kulturelle Engagement junger Menschen. In Slowenien ist das nicht mehr der Fall. Es war in der Zeit Jugoslawiens präsenter, als ich jünger war, da hatten wir mehr Gelegenheiten, in denen wir sangen usw. Hier aber ist jeder der jungen Kärntner Sloweninnen und Kärntner Slowenen im Chor, im Theater aktiv oder schreibt Beiträge … Und das gefällt mir sehr gut und es berührt mich sehr.

[12] Wie lebst und empfindest du die Zweisprachigkeit in Kärnten? Wie viel davon hast du bei all den Aktivitäten verinnerlicht, die du uns jetzt beschrieben hast?

Da ich offensichtlich Kärntnerin bin, ist es in meiner DNA eingeschrieben und schon in mir. Durch den slowenischen Wirtschaftsverband und wegen der Leute, die ich hier treffe, verstehe ich die Minderheitenfrage natürlich besser, ich lebe irgendwie damit. Meine Kinder gehen in eine zweisprachige Schule und einen zweisprachige Kindergarten und sehen das Leben der Minderheiten.

Eine Sache aber noch: In Klagenfurt gibt es keine große Bibliothek. In Slowenien sind wir große Bibliotheken gewohnt, wir haben in jedem kleinsten Dorf eine Bibliothek. Mein Dorf, in dem ich zu Hause bin, Stara Fužina in Bohinj, das ist ein kleines Dorf, hat eine eigene Bibliothek. Klagenfurt hat keine Stadtbibliothek, dafür aber eine slowenische Bibliothek, die, wie ich finde, gut besucht ist. Und auch hier spürt man, wie die Sprache die Gesellschaft, in der wir leben, wirklich bereichert. Ich habe bereits mit Vertretern des Landes gesprochen und gesagt, dass es mich wirklich fasziniert, dass es keine Stadtbibliothek gibt, denn Bibliotheken sind ein Ort der Bildung, Treffpunkte für Jugendliche, Treffpunkte für die Jüngsten, denn es geht nicht nur um Ausleihen von Büchern – Bibliotheken sind vieles darüber hinaus. Das könnte ein gutes Zukunftsprojekt für Klagenfurt sein, eine Stadtbibliothek zu eröffnen, die die Menschen in dieser Region verbindet und die Zweisprachigkeit als großen Vorteil zeigt. Wenn uns aus diesen Kreisen jemand zuhört, der etwas bewirken kann: Wir sind dafür und helfen mit, eine Stadtbibliothek aufzubauen.

Liebe Vesna, vielen Dank für das angenehme, herzliche, auch persönliche Gespräch voller interessanter Informationen, auch aus deinem engsten Kreis. Vielen Dank.

Danke, Katarina, es war mir eine Freude – und bis bald. Alles Beste. Srečno. Živijo.