Skip to main content

INFINITE STORYSCAPES

Lidija Vindiš-Roessler

Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen. Dieses Zitat von J. W. von Goethe hat sich Frau Vindiš-Roesler zur Lebensaufgabe gemacht und begleitet Menschen seit etlichen Jahren unter anderem entlang des slowenischen Jakobweges von Ljubljana nach Trieste und gehörte auch zum Team, das den grenzüberschreitenden Hemma-Pilgerweg wiederbelebte. Auch in ihrem Doktoratsstudium im Fachbereich Volkskunde und Kulturanthropologie an der Karl-Franzens-Universität in Graz, befasst sie sich mit dem Thema Spiritueller Tourismus.

Wie gut kennen wir eigentlich unser zu Hause? Was leistet der Tourismus und insbesondere das Pilgern kulturell in unserer Region? Welche Rolle hat für sie Hemma von Gurk?

Lidija Vindiš-Roesler ist in Ptuj aufgewachsen, lebt heute mit ihrer Familie in Graz und wenn es die Zeit zulässt, ist sie gern auch im Ferienhaus im Porabje – einer Gegend im heutigen Ungarn, in der auch Slowenisch gesprochen wird.

Renate Rogi-Kohlenprath im Gespräch mit Lidija Vindiš-Roessler


[1] Es freut mich heute mit Frau Lidija Vindiš-Roessler sprechen zu dürfen. Sie ist seit Jahren aktiv in der Region tätig und kennt sehr viele grenzüberschreitende Projekte, auf die wir noch später eingehen werden.
Nachdem wir uns seit Jahren schon kennen, wären wir uns während des Interviews duzen.  Lidija, darf ich dich bitten, dich kurz vorzustellen.

Vielen Dank für die Einladung, liebe Renata, liebe Grüße an alle Hörer. Mein Name ist Lidija Vindiš-Roesler, ich komme aus Ptuj, lebe heute mit meiner Familie, meinem Ehemann und unserer Tochter in Graz.
Aufgewachsen bin ich in einer kleinen Stadt in der slowenischen Steiermark, in Ptuj. Dort verbrachte ich meine Kindheit bis zum Alter von 14 Jahren und hatte das Glück, in einem Drei-Generationen-Haushalt – mit meinen Großeltern, meinen Eltern und meinem Bruder – aufzuwachsen.

[2] Lidija, kannst du kurz sagen, warum du nach Graz gekommen bist.

Diese Geschichte ist länger als die Entfernung zwischen Ptuj und Graz. Wie gesagt, ich bin in einer kleinen Stadt aufgewachsen, wir hatten zu Hause einen Bauernhof und alles war schön und richtig. Aber als Teenager aber wollte ich etwas Weite und diese Weite wurde mir von meinem Vater geboten, der in den Zeiten von Jugoslawien und dann auch später ein sogenannter “Gastarbeiter” in Deutschland war. Er arbeitete in München und so war ich in den Sommermonaten mehrmals dort, habe Deutsch gelernt und mein Wunsch nach dem Abitur in Ptuj war, in München zu studieren. Dort habe ich mich dann auch eingeschrieben, in das damals sehr exotische Studium der Afrikanistik, ich wurde am Institut auch angenommen, aber an einigen Formalitäten scheiterte es dann und so war die zweite Wahl eine andere deutschsprachige Stadt, nämlich Graz. Ich hatte am Gymnasium in Ptuj ein Sprachdiplom gemacht und es mir leid tat, dieses Diplom nur für die Schublade gemacht zu haben. Ich wollte es »einlösen« und so habe ich mich in Graz für das Studium der Ethnographie und Kulturanthropologie eingeschrieben. Also bin ich von der Afrikanistik zur der österreichischen Ethnographie gekommen. Dies ist die Geschichte, warum ich nach Graz gekommen bin. Das war nicht meine erste Wahl, aber heute bzw. erst später im Leben versteht man, warum das so sein musste.

[3] Wie hast du in dieser Zeit die Grenze zwischen Slowenien und der Steiermark empfunden?

Für meine Generation ist die Grenze noch ein Beweis, dass diese »fluid« sein kann, also ziemlich fließend. Die Grenze stellte für mich kein Hindernis dar, vor allem als Slowenien 2004 der Europäischen Union beitrat, war sie für mich kein Hindernis. Aber ich erinnere mich an den Krieg 1991 in Slowenien, als die Grenze natürlich ein wichtiges Thema war. Damals, wir haben davon noch Bilder zu Hause, als mein Vater und ich über Cmurek nach Deutschland fuhren, weil nicht bekannt war, wie es mit dem Krieg werden würde. Damals war ich fünf Jahre alt, das ist meine Erinnerung an die Grenze. Aber wir reden hier über die physische Grenze. Bedeutsam sind auch die mentalen oder die kulturellen Grenzen – was natürlich logisch ist, dass es Grenzen zwischen der österreichischen und der slowenischen Steiermark gibt, aber am Ende ist dieses Gebiet für mich eine Region.

[4] Graz als Stadt ist da vielleicht ein wenig anders, hast du dich als Slowenien in Graz auch zu Hause gefühlt, als Studentin?

Am Anfang war es nicht so einfach, ich muss zugeben, dass ich ungefähr zwei Jahre gebraucht habe, um mich in die andere Umgebung, in die andere Gesellschaft zu integrieren. Meine Freunde waren nicht hier – das wäre es anders gewesen, wenn ich nach Ljubljana gegangen wäre, aber so war alles neu. Unsere Familie hatte vorher keine direkten Verbindungen zu Graz und so fiel es mir anfangs nicht leicht, aber später trat ich der Slowenischen Katholischen Mission bei, zum Beispiel, und die slowenischen Gottesdienste in der Mariahilfer Pfarre. Später war ich dann im Klub der Slowenischen Studenten. Durch die Vereine, die es gab und gibt, konnte ich mich irgendwie leichter in diese neue Umgebung einfügen.

[5] Stellt sich vielleicht auf der anderen Seite die Frage, wie gehst du jetzt, wo du in Graz mit deiner Familie lebst, mit deinen slowenischen Wurzeln um?

Ich bin mir meiner slowenischen Wurzeln bewusst und bin auch stolz darauf, aber ich muss zugeben, dass ich in erster Linie Steirerin bin, fühle mich der Region zugehörig, also der slowenischen Steiermark bzw. unserer Gegend. Wir (die Steirerinnen und Steirer, Anm. der Redaktion) waren mental stärker mit Graz verbunden als vielleicht mit Ljubljana, daher würde ich sagen, dass ich als slowenische Steirerin in der österreichischen Steiermark bin. Ich versuche, mit diesen slowenischen Wurzeln zu arbeiten, um die beiden Kulturen zu verbinden, darüber werden wir später noch sprechen. Ich versuche, meine slowenischen Wurzeln zu bewahren.

[6] Du hast mir früher im Vorgespräch verraten, dass es zu Hause bei euch mehrere Sprachen oder mehrere Zugehörigkeiten gibt. Ihr seid nicht nur in Graz, sondern ihr verbringt noch Zeit in Ungarn. Vielleicht möchtest du dazu etwas sagen?

Dies ist auch sehr interessant, d. h. mein Mann kommt aus Deutschland, aus Thüringen und hat vor Jahren ein Haus im slowenischen Porabje gekauft, wo die slowenische Minderheit in Ungarn lebt, also Westungarn und wir verbringen auch viel Zeit dort. So kommt es, wenn eine größere Runde zusammen ist, dass definitiv viele Sprachen am Tisch gesprochen werden, also Deutsch, Slowenisch, Ungarisch und auch »Porabščina«, das ist ein ganz besonderer Dialekt, ein sehr archaisches Slowenisch mit Beimischungen von Deutsch und Ungarisch. Es ist sprachlich sehr vielfältig und das gefällt mir auf jeden Fall sehr gut und das möchte ich auch von meiner Tochter weitergeben.

Ab Min. 8:12 antwortete Frau Vindiš-Roessler auf Deutsch.